1. Sustainability Networking Night in Karlsruhe
Höher, weiter, schneller. Mehr, mehr, mehr. Konkurrenz und Gier an der Tagesordnung. Schließlich geht nichts über Gewinnmaximierung, Leistung, Produktivität. Oder etwa doch? Diese Frage diskutierten am 28. Januar rund 130 Besucher der Karlshochschule beim Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe Sustainability Networking Night. Thema dieses Abends war die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), Kurzvorträge und eine Podiumsdiskussion brachten das Konzept dem Publikum näher.
Elke Renz ist Mitglied in der Gemeinwohl-Ökonomie-Regionalgruppe Karlsruhe. Sie beschrieb das konventionelle Wirtschaftsmodell: „Der Zweck ist vor allem Gewinnmaximierung – bei Aktiengesellschaften sogar gesetzlich vorgegeben.” Wirtschaftlicher Erfolg werde gemessen an Bruttoinlandsprodukt, Finanzgewinn und Finanzrenditen. Doch diese Werte würden nichts über Armut und Reichtum aussagen, nichts über geschaffene Arbeitsplätze, oder darüber, ob die Einkommensverteilung gerecht sei und ob essenzielle Bedürfnisse befriedigt würden.
Was ist die Gemeinwohl-Ökonomie?
Elke Renz schilderte, wie die alternative Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) mit einer übergeordneten Strategie die Wirtschaft gestalten will. An erster Stelle hierbei stehe das Wohl der Menschen und der Umwelt: Nicht mehr Gier und Konkurrenz, sondern Werte wie Vertrauen und Kooperation dominieren das Wirtschaftsgeschehen. Zweck der GWÖ sei es, wirtschaftlichen Erfolg zu messen mithilfe neuer Werte:
- Menschenwürde
- Solidarität und Gerechtigkeit
- Ökologische Nachhaltigkeit
- Transparenz und Mitentscheidung
Die Matrix ist die Basis für die GWÖ-Bilanz, von ihr gibt es jeweils eine Version für Unternehmen und für Gemeinden. Sie misst anhand der Werte (X-Achse), die in Beziehung zu fünf Berührungsgruppen gestellt werden (Y-Achse): Lieferant*innen, Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen, Mitarbeitende, Kund*innen & Mitunternehmen als auch das gesellschaftliche Umfeld. Hieraus ergeben sich 20 Schnittpunkte oder Themen, an denen gemessen wird, ob sich die Tätigkeit des Unternehmens positiv oder negativ auf das Gemeinwohl auswirkt. Je nach Ergebnis gibt es eine hohe oder niedrige Punktzahl. Insgesamt können maximal 1.000 Punkte vergeben werden.
Die GWÖ bringe laut Elke Renz mehrere Vorteile für Unternehmen. So stärke sie das Unternehmensziel, diene als Guide zum nachhaltigen Handeln und als Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt, denn Fachkräfte werden durch sie angezogen. Außerdem gebe eine GWÖ-Bilanzierung eine Übersicht über die eigene Situation eines Unternehmens und erzeuge ein höheres Ansehen in der Gesellschaft.
Wie funktioniert die Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis?
Wie das funktioniert, berichtete Christian Liebhardt, Standortleiter Mannheim der WBS Training AG (WBS Training). Das Unternehmen hat bereits seine zweite Bilanzierung durchgeführt. In einem Auftaktmeeting wurde den im Prozess involvierten Mitarbeitern die GWÖ und der Ablauf der Bilanzierung erklärt. Viele Daten wurden erhoben und schließlich ein umfangreicher Bericht von circa 130 Seiten erstellt.
Nach der Bilanzierung bei WBS Training war ein geschärftes Bewusstsein für GWÖ-Themen nach innen und außen geschaffen worden. Außerdem wurden Richtlinien zum ethischen Kundenmanagement und eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet, Umweltkennzahlen wurden genauer erfasst und eine gerechtere Gewinnverteilung wurde etabliert.
1. Sustainability Networking Night in Karlsruhe – Das Podiumsgespräch
In einem Podiumsgespräch diskutierten Mitarbeiter und Inhaber von GWÖ-bilanzierten Unternehmen ihre Erfahrungen mit der Bilanzierung. Die Teilnehmer waren: Diana Stier (räume), Christian Liebhardt (WBS Training), Bennet Niemann (Moderation), Ulrike Häußler (TeamWeitblick) und Hans-Peter Heinrich (Steuerkanzlei Heinrich) (Foto unterhalb von links nach rechts).
Ulrike Häußler (TeamWeitblick) arbeitete in mehreren Großkonzernen und fragte sich selbst oft: „Für welche Werte arbeite ich denn eigentlich?“ Denn meistens gehe es nur um höher, weiter, mehr. Aber das funktioniere so nicht mehr. Schließlich bräuchten wir 3,2 Erden, wenn wir mit dem Ressourcenverbrauch weiter so machen wie bisher, wir haben aber nur diese eine. Heute berät sie viele Unternehmen; dabei erlebe sie, dass ein stärkeres Miteinander entstehe und sich auch von Kundensegmenten getrennt werde.
Bei der GWÖ-Bilanzierung aktueller Unternehmen überwiege die intrinsische Motivation und nicht die Auswirkung aufs Image. Für sie ist es schön, dass sie Pioniere kennenlernen kann, Menschen, die sich einsetzen für ihre Werte. Auch sei es laut Ulrike Häußler wichtig zu überlegen: „Wann reicht es? Was ist eine gute Größe für ein Unternehmen, ohne noch weiter zu wachsen?“ Die Gesellschaft stehe heute vor der Entscheidung, wie es weiter gehen soll: „Der Konsument entscheidet!“
Christian Liebhardt erklärte, dass die GWÖ-Bilanzierung ein aufwendiger Prozess sei, er ihn aber dennoch als sinnvoll erachte. Bei WBS Training nehmen sie wahr, dass sich immer mehr Bewerber fragen, „macht es Sinn, wo ich arbeite?“ Und daher schauen, was das Unternehmen tut.
„Eine große Chance zu echtem Miteinander zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.“
Diana Stier (räume) führte 2014 eine GWÖ-Bilanzierung ihres Vereins Tischlein Deck Dich durch. Auch sie bestätigte, dass es schon ein sehr komplexes Verfahren sei. Das hielte sie jedoch nicht davon ab, sich auch mit ihrem Unternehmen räume bilanzieren lassen zu wollen. Dies möchte sie in einem Peer-to-Peer Prozess machen, hierfür suche sie Gleichgesinnte und möchte im Austausch den Prozess durchführen. Seit ihrer ersten Bilanzierung arbeite sie nur noch mit der Druckerei zusammen, die ebenfalls bilanziert wurde. Für Diana Stier sei die GWÖ „eine große Chance zu echtem Miteinander zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.“
Auch Hans-Peter Heinrich (Steuerkanzlei Heinrich) führt in seiner Kanzlei eine GWÖ-Bilanzierung mithilfe eines Beraters durch. Hierfür holte er sich Unterstützung durch einen Praktikanten, bei einer Kickoff Veranstaltung informierte er alle Mitarbeiter über das Vorhaben. Der Vorgang zeige, dass sich dabei auch in kleinen Unternehmen viele neue Einblicke ergeben. Das Ziel sei nicht die maximale Punktzahl zu erreichen, sondern zu schauen: „Wo stehe ich, wo können wir uns verbessern?“ Für Hans-Peter Heinrich ist die GWÖ von der Theorie her ein Tool, das die Volkswirtschaft ändern kann.
Gegen Ende fragte ein Zuschauer, wie man die GWÖ flächendeckend groß machen könnte und Unternehmen dazu bekäme, mitzumachen? Ulrike Häußler erwiderte, dass die Welt nicht schwarz-weiß sei. Wir bräuchten Politik und Verbraucher. Und dass es wichtig sei, sich mit anderen Organisationen und Bewegungen zusammentun. Das griff der Moderator als Schlusswort auf: „Nicht alleine eine Bewegung, sondern gemeinsam!“
Als Dankeschön erhielten alle Gesprächsteilnehmer eine soulbottle, soulbottles wurde übrigens als GWÖ Best Practice betont.
So, und weiter?
Das war’s mit dem offiziellen Teil. Bei Snacks und Getränken fanden noch schöne und interessante Gespräche statt. Jedoch war ich nach den Vorträgen nicht komplett zufrieden. Die GWÖ halte ich für ein gutes, nachhaltiges Konzept, das die Wirtschaft näher zum Menschen bringt. Oft hörte ich schon den Namen, hatte mich aber zuvor noch nicht näher damit beschäftigt. Dennoch blieb mir die Veranstaltung zu sehr an der Oberfläche, auch bei späterem Nachfragen kam ich nicht weiter.
Denn was genau bedeutet nun die Matrix? Was sind Beispiele für die einzelnen Komponenten, beziehungsweise wie werden sie umgesetzt? Wie wird zum Beispiel „Menschenwürde am Arbeitsplatz“ definiert? Genau an dieser Stelle wird’s doch meiner Meinung nach am interessantesten! Aber diese Fragen wurden nicht beantwortet, es ging eher nur allgemein um das Prinzip und die Erfahrungen damit.
Nichtsdestotrotz war es ein insgesamt schöner Auftakt der neuen Reihe Sustainability Networking Night. Ich war bereits bei vorherigen Veranstaltungen der Karlshochschule, wie unter anderem dem dreiCday. Und finde es klasse, dass solche Veranstaltungen geboten werden, noch dazu kostenlos. Auch ein schönes Zeichen finde ich, dass die Wirtschaftsförderung Karlsruhe für solch ein alternatives, nachhaltiges Konzept seine Unterstützung zeigt. Die Veranstaltung entstand in Kooperation zwischen Studierenden der Karlshochschule, der Gemeinwohl-Ökonomie-Regionalgruppe Karlsruhe und der Wirtschaftsförderung Karlsruhe.
Also, ich wünsche, dass immer mehr Unternehmen begreifen, dass es nicht nur um höher, weiter, schneller geht. Sondern dass man gemeinsam schauen muss, wie es Umwelt und Menschen besser gehen kann.
Fotos:
Letztes Bild (Podiumsgespräch): GWÖ Regionalgruppe Karlsruhe
Weitere Bilder: Johanna Wies
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