„Wir bringen ein bisschen Kultur in die Gesellschaft, auch während Corona.“
Die 20. Karlsruher Filmfestspiele fanden vom 21. bis 25. Oktober 2020 als hybride Ausgabe statt. Vor Ort im Kino und digital. Wie kam das Format an? Und: Kann ein Online-Programm den Kinobesuch ersetzen?
Gewusel auf dem roten Teppich und vor der Fotoleinwand, klimpernde Sektgläser im Foyer, Kinosäle voll bis in die oberste Ecke, Filmemacher, dicht an dicht beim angeregten Austausch. Das suchte man dieses Jahr vergebens auf dem Filmfest in der Schauburg.
Die INDEPENDENT DAYS I Internationale Filmfestspiele mussten als eines der ersten Filmfestivals in Deutschland ihren April-Termin aufgrund des Corona-Lockdowns absagen. Noch im März starteten die Veranstalter daraufhin ein Online-Programm, als erstes deutsches Festival. Bei „Kurzfilm vs. Corona“ zeigten sie insgesamt 70 Kurzfilme auf ihrem YouTube-Kanal. Die Reihe kam gut an: Knapp 17.500 Zuschauer, viel positives Feedback.
Die etwas anderen INDEPENDENT DAYS: im Kino und digital
Nun erfolgte die 20. Ausgabe des Karlsruher Filmfests Corona-bedingt in hybrider Form. Ein Großteil der insgesamt 162 Filme aus 40 Ländern wurde im Kino gezeigt – im Filmtheater Schauburg und im ZKM Medientheater. 90 Prozent des Programms liefen online auf der Videoplattform VIMEO.
Zudem wurden Workshops und Vorträge sowie die Opening– und Award-Show auf YouTube gestreamt. Dieses Jahr also ein digitaler roter Teppich. Die Resonanz zum Online-Programm war recht positiv, berichtete Festivalleiter Oliver Langewitz. Es wurden zum Teil mehr Interessierte erreicht als bei einer Live-Veranstaltung. Dennoch leide bei solchen Formaten die Interaktion. Auch die eingeschränkten Platzkapazitäten und der geringe Publikumszuspruch im Kino seien frustrierend gewesen. Er hatte natürlich Verständnis für die Leute, die nicht ins Kino kommen wollten. Festivalatmosphäre war für Langewitz vor Ort dennoch vorhanden: durch das Programm, die Visualität und die Menschen, die es mitgestalteten.
Die Veranstalter wollten auch ein Zeichen setzen: „Wir bringen ein bisschen Kultur in die Gesellschaft, auch während Corona“ sagte Langewitz. Vimeo half hierbei. Doch der wichtigste Fokus war „nach wie vor die Begegnung im Kino. Und wir hoffen, dass das auch künftig wieder möglich ist.“
Wie sahen die Besucher das? Besucherin Anja fand das Festival interessant. „Man freut sich ja, dass etwas stattfindet.“ Das digitale Angebot nutzte sie nicht. Ihre Begleiterin Angelika fand den Festivalbesuch „okay, ein bisschen traurig, dass so wenig Leute da sind. Aber was soll man machen, besser als gar nichts.“ Das digitale Angebot wollte sie vielleicht noch nutzen. Beide Besucherinnen kommen aus Karlsruhe. Besucher Julien, auch Karlsruher, sah es ähnlich: „Hauptsache, es findet statt. Mich wundert’s, dass viele Leute so scheu sind. Man sollte die Möglichkeit nutzen, die Szene zu unterstützen“. Das digitale Angebot war für ihn keine Alternative, „weil für mich das Erlebnis dazu gehört.“
„Digitaler Besucher“ Sven kommt ursprünglich aus Ettlingen, seit kurzem wohnt er in München. Aufgrund der Corona-Pandemie nahm er leider nicht vor Ort teil, nutzte aber die Online-Formate „Filmskills“. Als Filmemacher ist er seit 2009 mit den INDEPENDENT DAYS verbunden. Das hybride Angebot findet er „absolut genial. Im Internet kann man viele Zuschauer erreichen, die man sonst nicht erreicht hätte.“ Das Angebot vor Ort würde er trotzdem auf keinen Fall missen wollen, „vor allem nicht das wunderschöne Schauburg-Kino und die dortige Atmosphäre“. Für die Zukunft könne er sich ein verstärktes Online-Programm von Workshops, Vorträge und Diskussionen gut vorstellen. Aber: „Das Herz des Kinos, das schlägt aber immer noch im Saal, in der kollektiven Erfahrung. Kein Heimkino, egal wie gut die Anlage ist, kann das ersetzen. Wenn das Licht ausgeht und das Summen des Projektors das leise Rascheln der Popkorntüten überlagert, dann fühlt sich das für mich einfach richtig an.“
Ein Online-Format ist also durchaus eine gute Unterstützung für die Filmfestspiele. Doch waren sich alle einig: Die Begegnung und das Erlebnis im Kino kann es nicht ersetzen.
Filmfestivals als Spiegel der Entwicklungen auf der Welt und der Gesellschaft
Die INDEPENDENT DAYS haben sich 1998 als Kontrapunkt zu den großen etablierten Festivals gegründet. Seitdem haben sie sich immer weiterentwickelt und haben mit ihrem ganz eigenen Profil eine enorme Strahlkraft weit über Karlsruhe hinaus. Mittlerweile gibt es über 400 Filmfestivals in Deutschland. Laut Tanja C. Krainhöfer, Initiatorin von „Studien zu Filmfestivals in Deutschland“, ist die deutsche Filmfestivalszene kontinuierlich wachsend und hat sich gleichzeitig zu einem hochdynamischen und relevanten Filmmarkt entwickelt.
Das Festivalprogramm war sehr vielfältig gestaltet. „Ein Filmfestival ist immer in gewisser Weise ein Spiegel der Entwicklungen auf der Welt und der Gesellschaft, den möchten wir flächendeckend abbilden“, so Langewitz. Es gab einige Langfilme und einen bunten Blumenstrauß von Kurzfilmen. Mit viel Skurrilem und Düsteren: ein Henker, der seinen eigenen Kopf verliert oder ein Flüchtling, der in einem Freizeitpark vermeintlich sein Glück findet.
Bei der Online-Award-Show am Sonntag, 25. Oktober 2020, wurden elf Filmpreise im Wert von 13.000 Euro verliehen. Als Gewinner des Publikumspreises überzeugte der Film „Stone“ (Regie: Alican Yücesoy) aus der Türkei.
Wie geht es weiter mit den INDEPENDENT DAYS?
Momentan planen die Veranstalter diverse neue Online-Angebote, anknüpfend an die neu gewonnenen Erfahrungen. Ideen gäbe es einige, zum Beispiel für ein YouTube-Programm, in dem sie in Form eines Videopodcasts berichten.
Und wann finden die nächsten INDEPENDENT DAYS statt? Das konnte Langewitz noch nicht sagen. Die Tendenz geht aber Richtung April 2022. Dann hoffentlich auch wieder mit einem echten roten Teppich und vollbesetzten Kinosälen.
Fotos: Johanna Wies
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